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26.08.2021
Elke Grawert und die Afrikaforschung am IWIM – Ein Nachruf



Elke Grawert, Bremen, 13. November 1958 - 5. März 2021

Frau PD Dr. Elke Grawert ist am Freitag, 5. März 2021 nach schwerer Krankheit gestorben. Der Verlust ist überaus groß – für ihre Söhne, ihre FreundInnen, ihre Kollegen. Das IWIM verdankt ihr viele wichtige Initiativen und Forschungsarbeiten, die zur Reputation dieses universitären Instituts wesentlich beigetragen haben. Sie hat sich in weiten Bereichen der Afrika-, Friedens- und Konfliktforschung betätigt, als Forscherin, als Lehrende, als Beraterin, als Netzwerkerin und als einfühlsame Gesprächspartnerin. Sie hat im klassischen Sinne Feldforschung betrieben und inmitten der Bevölkerung im Sudan, in Tansania und in anderen Ländern des Südens gelebt und gearbeitet. Sie hat die lokale Bevölkerung in ihren Haushalten besucht, bei deren täglicher Arbeit begleitet und beobachtet, Frauen und Männer in entlegenen Dörfern interviewt, und intensive Erhebungen zur Lebensweise und Arbeit von Frauen, deren Männer aus Erwerbsgründen migrierten,  durchgeführt. In vielen Publikationen von Elke Grawert finden sich diese empirischen Erhebungen in methodisch mustergültiger Weise verarbeitet. Zu ihrer letzten beruflichen Station am BICC (Bonn International Center for Conversion)  liegt ein Nachruf vom Direktor des BICC vor. In der Zeit am BICC seit 2010 hat sie sich mit wichtigen Themen der Konflikt- und Friedensforschung befasst. Zu erwähnen sind beispielsweise Arbeiten zur Friedenssicherung in Afghanistan durch konfliktsensitive Beschäftigungsinitiativen und Forschungen zur Verknüpfung von geschäftlichen Interessen des Militärs und der Unternehmen in arabischen Ländern. In ihrer Zeit am BICC hat sie im Juli 2012 an der Universität Bonn die 9th International Sudan Studies Conference ausgerichtet und mehrere hundert Sudanforscherinnen und -forscher aus aller Welt zum wissenschaftlichen Austausch versammelt. Die Tagung wurde ein großer wissenschaftlicher Erfolg.

Vor ihrer Zeit als Senior Research Fellow am BICC war sie in mehreren Funktionen an der Universität Bremen tätig. Sie kooperierte mit dem Forschungsteam von Prof. Dr. Karl Wohlmuth in mehreren Publikations- und Forschungsprojekten zum Sudan und zu anderen afrikanischen Ländern und mit Prof. Dr. Michaela von Freyhold im Rahmen von neu eingerichteten internationalen entwicklungspolitischen Studiengängen. Hier wird über ihre ersten wissenschaftlichen Arbeiten an der  Universität Bremen und über ihre Zeit am IWIM (Institut für Weltwirtschaft und Internationales Management)  berichtet. Sie gehörte zu den Gründern des African Development Perspectives Yearbook, dem englischsprachigen Afrika-Jahrbuch, das an der Universität Bremen seit1989 herausgegeben wird. Bereits am Band 2 (1990/91) war sie beteiligt - mit einer Unit (einem Themenkomplex mit mehreren Aufsätzen) mit dem Titel „Women’s Participation in the Industrialization Process - Problems and Perspectives“. Am Band 3 (1992/93) war sie mit der Unit “Household Energy Systems” beteiligt, und am Band 7 (1999) mit der Unit „Self-Help, Self-Organization, and Empowerment of Disadvantaged Rural and Urban Population Groups“. Am Band 8 (2000/2001) bearbeitete sie die Unit „African Women in the Globalising Economy“. Die Themen, die sie als Mitarbeiterin bzw. als Mitherausgeberin des Afrika-Jahrbuchs besetzte, hatten mit Partizipation von gesellschaftlichen Gruppen, mit der Stärkung der Position und der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen, mit der Rolle von Frauen als Unternehmerinnen, und mit der Förderung der Zivilgesellschaft durch lokale Initiativen zu tun. Sie war ein sehr geschätztes Redaktionsmitglied der Herausgebergruppe des Afrika-Jahrbuchs. Mit ihrem schnell anwachsenden wissenschaftlichen Netzwerk war sie sehr hilfreich bei der Themenfindung und -formulierung.

Frau Elke Grawert wurde aufgrund ihrer Sudanforschungsinteressen nach Bremen eingeladen. In der Sudanforschungsgruppe Bremen hat sie viele Jahre aktiv mitgearbeitet, zahlreiche Forschungsvorhaben angestoßen und viele Publikationen erarbeitet. Sie hat auch ihre Dissertation in Bremen angefertigt. Ihre Bücher und Sammelbände konnte sie immer in erstklassigen Verlagen unterbringen. Die Dissertation mit dem Titel “Making A Living In Rural Sudan. Production of Women, Labour Migration of Men, and Policies for Peasants’ Needs”  ist 1998 bei Macmillan Press Ltd erschienen. Sie entwickelte einen Ansatz, in dem sie vier Ebenen integrierte: eine Analyse der ländlichen Entwicklung und der Lebensbedingungen der bäuerlichen Bevölkerung, eine Analyse der Ernährungssicherung, eine Analyse der spezifischen Situation von Frauen in ländlichen Gegenden, und eine Analyse der Migrationsprozesse. Durch moderne Feldforschungsmethoden konnte sie wichtige Ergebnisse erzielen; sie nahm sich immer ausreichend Zeit für ihre Feldforschungsaufenthalte. Für ihre Dissertation etwa war sie von Februar bis September 1988 in Kutum, Nord-Darfur, Sudan, um durch Beobachtung und Interviews Daten für ihre Arbeit zu erheben. Sie lebte dort unter vergleichbaren Bedingungen wie die lokale Bevölkerung, wie die Personen in jenen Haushalten, die sie analysierte. Durch die Beobachtung der Lebens- und Arbeitsbedingungen erarbeitete sie sich ein Verständnis der Struktur der Haushalte und der Arbeitswelt in Kutum, Nord-Darfur; durch Interviews mit Frauen konnte sie deren tägliche Aktivitäten kennenlernen und sich ein Bild von der Gesellschaft und Wirtschaft in Kutum erarbeiten. Ihr Interesse galt vor allem der neuen lokalen Arbeitsteilung und der Arbeitslast der Frauen nach der Erwerbsmigration der Männer. Die präzise Analyse in ihrer Dissertation hat wohl zahlreiche Sudanforscher/Innen angeregt, ihre theoretischen Fragestellungen weiter zu vertiefen.

Aber auch an vielen anderen sudanspezifischen Forschungsarbeiten war Elke Grawert beteiligt. Sie hat etwa ein Forschungsprojekt zur Wanderarbeit im Sahel durchgeführt und 1994 einen wichtigen Band über die Ergebnisse einer  Konferenz zu dem Thema veröffentlicht. Der Band über „Wandern oder bleiben? Veränderungen der Lebenssituation von Frauen im Sahel durch die Arbeitsmigration der Männer“ war der Versuch, den Analyserahmen von ihrem Dissertationsthema auch für andere Sahelländer zu nutzen. Die Publikation umfasst Fallstudien in acht verschiedenen Orten von vier Sahelländern mit Ergebnissen dazu, wie sich die Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen durch die Migration der Männer verändern. Die Studien zu Orten im Sudan, in Mali, in Burkina Faso und im Senegal zeigen wichtige Muster und Reaktionsweisen auf, was Frauen erleben und wie Frauen in solchen Situationen reagieren. Die Konferenz und die Publikation zeigen auch die Arbeitsweise von Frau Grawert – Frauen berichten über ihre Feldforschungen bei Frauen in afrikanischen Ländern. Unterbelichtete Bereiche der Migrationsforschung wurden sehr konsequent analysiert; das Material wurde handlungsorientiert aufbereitet. Es ging Frau Grawert immer um Wege, wie Frauen ihre Lage vor Ort verbessern können - die Auswirkungen der Arbeitsmigration auf die Ernährungssicherung, auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, auf die natürliche Umwelt, und ganz allgemein auf die Handlungsspielräume, die ein Bleiben im Sahel ermöglichen. Auch im Inter-University Centre (IUC) Dubrovnik hat Frau Grawert mehrere Kursprogramme der Universität Bremen bzw. des IWIM unterstützt. Sie nahm gerne die Möglichkeit wahr, als Dozentin bei internationalen Konferenzen über ihre Forschungsergebnisse zu referieren.

Und nun zum Meisterwerk von Elke Grawert. Von größter Bedeutung für die Sudanforschung des IWIM war ihr Engagement für das große Forschungsprojekt „Governance and Social Action in Sudan after the Peace Agreement of January 2005: Local, National, and Regional Dimensions“, das großzügig von der VolkswagenStiftung gefördert wurde. Dieses Forschungsprojekt sollte unmittelbar nach dem Friedensabkommen vom Januar 2005 die Regierungsführung im Sudan durch wissenschaftliche Expertise, durch Ausbildungsprogramme und durch Beratung unterstützen. Die Friedensvereinbarungen zwischen der südsudanesischen Befreiungsfront SPLM und der sudanesischen Regierung in Khartum waren bedeutsam, mussten aber durch internationale solidarische Aktionen unterstützt und stabilisiert werden. Das Projekt startete unmittelbar nach dem Friedensabkommen vom 9. Januar 2005 und endete erst im September 2012 mit der  Übergabe des Endberichtes an die VolkswagenStiftung; immer wieder wurde das Projekt verlängert, auch um die Zeit nach der Unabhängigkeit des Südsudan (9. Januar 2011) noch einzubeziehen. Das Projekt war nicht nur ein Forschungsprojekt, sondern auch ein Ausbildungsprojekt, da auch Masterstudien und Doktoratsstudien im Sudan, in Kenia und in Äthiopien gefördert wurden. Die StudentInnen arbeiteten zu Themen, die mit der Umsetzung des Friedensabkommens im Zusammenhang standen. Die Nachbarländer des Sudan (Kenia und Äthiopien) wurden einbezogen, weil Millionen von sudanesischen Flüchtlingen in Lagern dieser Länder lebten und auf eine geordnete Rückführung in ihre Heimatgebiete hofften. Dieses Projekt hat wichtige Forschungen zum Sudan angeregt, insbesondere hinsichtlich der Chancen für einen Neustart der Beziehungen zwischen dem von der SPLM kontrollierten autonomen und dann unabhängigen Südsudan und der Regierung des Sudan unter Präsident Al-Bashir in Khartum. Das Netzwerk der Bremer Sudanforschung wurde durch das Projekt stark ausgeweitet. Das Projekt war aber auch ein Beratungsprojekt, da Regierungsbehörden im Sudan/Südsudan und UN-Organisationen durchaus an den Ergebnissen der Forschungsarbeit interessiert waren. Frau Grawert hat die Funktion als Projektkoordinatorin akribisch ausgefüllt; die wissenschaftliche und die organisatorische Koordination klappte vorbildlich. Die afrikanischen Wissenschaftler wurden sehr gut in die Projektarbeit integriert, und eine Vielzahl von Publikationen wurde zum Projektthema verfasst. Frau Grawert hat sich intensiv darum bemüht, afrikanischen Nachwuchswissenschaftler/Innen aus den Projektländern Publikationschancen zu bieten.

Wir werden Elke Grawert dankbar in Erinnerung behalten.

Professor Dr. Karl Wohlmuth
IWIM, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft,
Universität Bremen